#Saytheirnames – Niemand ist vergessen

Seit Anfang Februar dieses Jahres erinnert ein Linienbus an über 200 Todesopfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt seit 1990 in der Bundesrepublik, die durch zivilgesellschaftliche Initiativen benannt werden.

Unter dem weltweit bekannten Hashtag #saytheirnames sind die Namen der Ermordeten umlaufend auf dem Bus zu lesen. Damit soll ein temporärer Erinnerungs- und Auseinandersetzungsort geschaffen werden, damit die Menschen und ihre Schicksale in der Öffentlichkeit nicht in Vergessenheit geraten. Die Menge der Namen verdeutlicht dabei die gewaltvollen und tödlichen Konsequenzen von menschenverachtenden Einstellungen und Handlungen. Das Projekt soll daher auch zur Auseinandersetzung mit rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt anregen. Speziell in der Öffentlichkeit sehen sich Betroffene rechter Gewalt verschiedenen diskriminierenden Situationen ausgesetzt, auch der ÖPNV kann ein solcher Angstraum sein.

Mit dem Appell „Steig ein und mach dich stark gegen Rassismus und Antisemitismus, für Vielfalt und Miteinander!“ sind alle Menschen der Stadt Jena aufgerufen, sich für eine lebenswerte Gesellschaft für alle einzusetzen, die diese Werte teilen. Dafür treten auch die Projektbeteiligten im Rahmen ihrer Arbeit ein.

Der Bus wird für ein Jahr auf wechselnden Linien im Stadtgebiet von Jena verkehren und wird finanziert durch die Lokale Partnerschaft für Demokratie Jena.

Das Projekt entstand auf Initiative der Lokalen Partnerschaft für Demokratie Jena in Kooperation mit KoKont, ezra – der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, dem Migrations- und Integrationsbeirat Jena, MigraNetz Thüringen e.V., Iberoamerica e.V., Ansole e.V., dem Fachdienst für Migration und Integration Jena, der Jungen Gemeinde Stadtmitte, der Antidiskriminierungsstelle der Stadt Jena und mit Unterstützung des Oberbürgermeisters Dr. Thomas Nitzsche.

Anliegen

Seit 1990 sind in der Bundesrepublik über 200 Menschen Mordopfer rechter und rassistischer Gewalt geworden, wie die Amadeu Antonio Stiftung und der Opferfonds Cura recherchierten.
Getroffen hat es Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergründen und mit vielfältigen politischen Einstellungen. Ihnen allen war jedoch gemein, dass sie in den Augen der Täterinnen und Täter kein gleichberechtigter und zu respektierender Teil der Gesellschaft sein sollten. Sie waren in ihren Augen lebensunwert und musste für die Menschenverachtung mit ihrem Leben bezahlen.
Oft waren die Täterinnen und Täter in rechtsextremen Gruppen organisiert und sind mit ihrer Tat einer rassistischen, homophoben und/oder obdachlosenfeindlichen Gesinnung gefolgt. Oft genug hatten sie aber auch keinen offensichtlichen rechtsextremen Hintergrund, sondern handelten auf Grundlage eines diffusen rechten Weltbilds. Doch handelten die Täterinnen und Täter nicht alleine, sie wurden gestärkt und geschützt durch in der Gesellschaft breit verankerte Vorurteilsstrukturen und institutionellen Rassismus. So sind z.B. bis heute weniger als die Hälfte der Taten nicht als rechte oder rassistische Gewalt durch die Bundesregierung anerkannt. Mit teils schwerwiegenden Konsequenzen für das Gerechtigkeitsempfinden, die Anerkennung der Tatumstände und die gesellschaftliche Rehabilitation der Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer.
Viel zu oft werden die rechten und rassistischen Taten nicht als solche benannt, entpolitisiert und das Leid der Betroffenen und Angehörigen ins Abseits der gesellschaftlichen Wahrnehmung gedrängt.

Im Jahr 2021 jährte sich das öffentliche Bekanntwerden des NSU zum 10.Mal, doch nur wenige wissen, dass 2001 auch das Jahr mit den meisten Todesopfern des NSU war: Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü und Habil Kılıç. Außerdem starben noch mindestens neun weitere Menschen durch rechte und rassistische Gewalt in diesem Jahr. Zwölf Menschen wurden seit 1990 in Thüringen wegen eines rechten oder rassistischen Motives ermordet.

Unter dem Hashtag #saytheirnames machen seit dem rassistischen Anschlag in Hanau am 19.02.2020 die Hinterbliebenen und Überlebenden auf die Gestorbenen jener Nacht aufmerksam und wollen sie nicht in Vergessenheit geraten lassen. Aber auch weltweit ist der Hashtag spätestens seit dem gewaltvollen Tod von George Floyd durch einen weißen Polizisten bekannt.

Um den durch rechte und rassistische Gewalt in Deutschland Getöteten zu erinnern und ihre Namen im öffentlichen Raum von Jena sichtbar zu machen, soll ein Linienbus von JenNah mindestens ein ganzes Jahr lang ihre Namen für alle in der Stadt sichtbar machen. Der Bus soll auch Mahnung sein, dass rechte und rassistische Gewalt nach der Wende weder mit dem NSU begann noch mit ihm endete. Denn was geschah, kann wieder geschehen. Es ist an uns allen bei rechten und rassistischen Gewalttaten nicht weg zu sehen, sondern zu handeln und solidarisch an der Seite der Betroffenen zu stehen.

Todesopfer seit 1990

Seit Jahren beklagt die Amadeu Antonio Stiftung die große Diskrepanz zwischen der Anerkennung von Todesopfern rechter Gewalt durch staatliche Behörden und der Zählung durch unabhängige Organisationen sowie Journalistinnen und Journalisten.

Werden von der Bundesregierung lediglich 106 Tötungsdelikte als rechts motiviert gewertet werden, ergeben Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung und weiterer zivilgesellschaftlicher Akteur:innen eine weitaus höhere Zahl: Mindestens 214 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Wendejahr 1990 sowie 17 weitere Verdachtsfälle.

Die Recherche zu den Todesopfern rechter Gewalt stützt sich in der Regel auf Medienberichte, Monitoring durch Opferberatungsstellen und Recherchearbeiten von Journalistinnen und Journalisten sowie Gedenkinitiativen.

Mehr Informationen dazu, welcher Begriff rechter Gewalt dieser Liste zu Grunde liegt und anhand welcher Kriterien ein Fall als Todesopfer rechter Gewalt bewertet wird, gibt es hier.

Zudem finden Sie hier einen Artikel zu den Hintergründen der Todesopferliste.

Zur Liste der Todesopfer, welche durch die Amadeu Antonio Stiftung recherchiert wurde, gelangen sie hier.

Die beiden folgenden Auszüge listen die Todesopfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen und die bekannten Todesopfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) auf, deren Kernmitglieder aus Jena stammten und von hieraus in den Untergrund gingen, aus dem heraus sie die Morde und Anschläge begingen.

In Thüringen:

NameTag des Angriffs/ SterbedatumAlterOrtMotivlage
Heinz Mädel25.06.199058 JahreErfurtrechte Gewalt
Ireneusz Szyderski03.08.199224 JahreStotternheimRassismus / Sozialdarwinismus
Karl Sidon15.01.199345 JahreArnstadtRechte Gewalt
Mario Jödecke24.01.199323 JahreSchlotheimRechte Gewalt
Sandro Beyer29.04.199315 JahreSondershausenRechte Gewalt
Rolf Baginski04.09.199755 JahreNordhausenSozialdarwinismus
Jana G.26.03.199814 JahreSaalfeldRechte Gewalt
Axel Urbanietz24.05.200127 JahreBad BlankenburgRechte Gewalt
Hartmut Balzke25.01.200348 JahreErfurtRechte Gewalt
Oleg Valger20/21.01.200427 JahreGeraRassismus
Klaus-Peter Kühn17.06.201259 JahreSuhlSozialdarwinismus    
Mario K.12.02.202052 Jahre AltenburgHomofeindlichkeit

Ermordet durch den NSU:

NameTag des Angriffs/ SterbedatumAlterOrtMotivlage
Enver Şimşek09.09.200038 JahreNürnbergRassistische Gewalt
Abdurrahim Özüdoğru13.06.200149 JahreNürnbergRassistische Gewalt
Süleyman Taşköprü27.06.200131 JahreHamburgRassistische Gewalt
Habil Kılıç29.08.200138 JahreMünchenRassistische Gewalt
Mehmet Turgut25.02.200425 JahreRostockRassistische Gewalt
İsmail Yaşar09.06.200550 JahreNürnbergRassistische Gewalt
Theodoros Boulgarides15.06.200541 JahreMünchenRassistische Gewalt
Mehmet Kubaşık04.04.200639 JahreDortmundRassistische Gewalt
Halit Yozgat06.04.200621 JahreKasselRassistische Gewalt
Michèle Kiesewetter25.04.200722 JahreHeilbronnRechte Gewalt

Informationen zu Todesopfern Thüringen

Heinz Mädel / 25.06.1990

An der Ecke Futter-/Johannesstraße wurde Heinz Mädel am 25. Juni 1990 von zwei weiblichen Neonazis auf seinem allabendlichem Spaziergang zusammengeschlagen. Er erlag seinen Verletzungen am 01. Juli 1990 um 14:10 Uhr.

Das Motiv: Die beiden Frauen hatten den 58-jährigen , zu dieser Zeit arbeitslosen, Maurer, als vermeintlich „Schwulen“ ausgemacht und von hinten angegriffen, da sie sich die Anerkennung einer Nazi-Skinheadgruppe sichern wollten. Im späteren Prozess stritten die Täterinnen dies ab. Sie schlugen und traten auf dem am Boden liegenden Mann über 15 Mal gegen Kopf und Brust. Das Gericht konstatierte, dass dieser Angriff den Täterinnen „wesensfremd“ gewesen sei. Doch im Vorfeld des Angriffes auf Heinz Mädel hatten die zwei Frauen immer wieder von ihnen als „anders“ wahrgenommene Personen drangsaliert und angegriffen. Für die zwei Frauen war das „Schwule und Assis klatschen“ eine Form des Vergnügens. Ein homophobes und menschenfeindliches Tatmotiv wurde im Gerichtsprozess, trotz widersprechender Zeug:innenaussagen und Beweisen, verneint.

31 Jahr später weist nicht mehr auf diese Taten hin.
Keiner kennt den Namen Heinz Mädel mehr.

Wir wollen dem Opfer seinen Namen zurückgeben. Sagt seinen Namen:

Heinz Mädel

Quelle: https://www.facebook.com/pages/category/Website/Blinder-Fleck-Erfurt-112988393804631/

Ireneusz Szyderski / 3. August 1992

Der 24-jährige Ireneusz Szyderski starb am 03. August 1992, nachdem er von vermeintlich rechtsextremen Ordnern in einer Disco in Stotternheim (Thüringen) misshandelt wurde.

Ireneusz Szyderski besuchte an jenem Abend mit Freund:innen eine Zeltdisco. Gegen 24 Uhr wollte die Gruppe das Gelände verlassen. Ireneusz Szyderski ging vorher alleine auf die Toilette. Ein Ordner entdeckte ihn kurz danach auf einem Absperrzaun und griff ihn unvermittelt an. Mehrere Männer des Ordnungspersonals kamen hinzu und beschimpften den polnischen Mann. Als Ireneusz Szyderski am Boden lag, schlugen die Männer mit einem langen Stock auf ihn ein. Zudem erlitt er einen Faustschlag oder Tritt gegen den Kopf.

Die Angreifer schleiften Ireneusz Szyderski nach der Tat auf dem Bauch über den Boden in Richtung des Besucher:innenparkplatz. Sie ließen ihn mit den Worten „hier, den könnt ihr mitnehmen“ vor seinen Freund:innen fallen. Ireneusz Szyderski hatte zahlreiche Verletzungen und Unterblutungen sowie Platzwunden an Rumpf, Hals, Kopf und Armen. Eine Hirnblutung ließ ihn im Auto seiner Freund:innen ohnmächtig werden. Auf dem Weg ins Krankenhaus setzten seine Körperreflexe aus. Ireneusz Szyderski erstickte an seinem Erbrochenen.

Veranstalter stellte den Hauptangeklagten an, weil er der Anführer einer Skinheadgruppe war

Im Ermittlungsverfahren sagte der Veranstalter der Zeltdisco aus, dass er den Hauptverdächtigen angestellt habe, weil dieser der Anführer einer Gruppe von Skinheads sei. Dieser soll wenige Tage nach der Tat damit geprahlt haben, es „dem Polen besorgt“ zu haben. Im Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Erfurt konnte kein „ausländerfeindliches Motiv“ bewiesen werden. Auch die Todesursache konnte nicht eindeutig geklärt werden. Ein Sachverständiger im Prozess meinte, die starke Alkoholisierung von Ireneusz Szyderski könnte dessen Tod ebenfalls verursacht haben. Der 24-jährige Hauptangeklagte wurde deshalb lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt – zu zweieinhalb Jahren Haft. Zwei weitere Personen wurden zu Geldstrafen von 760 beziehungsweise 600 Mark verurteilt.

Die Tat fiel in eine Zeit, in der Übergriffe von rechtsextremen Skinheads auf vermeintliche „Ausländer“ an der Tagesordnung standen. Insbesondere in Ostdeutschland herrschte eine teilweise gewalttätige Feindseligkeit gegenüber „Fremden“ – vor allem gegenüber Vertrags- oder Gastarbeiter, wie Ireneusz Szyderski einer war.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/ireneusz-szyderski/

Karl Sidon / 18.01.1993

Der 45-jährige Karl Sidon wurde am 18. Januar 1993 von fünf Neonazis in Arnstadt (Thüringen) in den Tod getrieben.

Karl Sidon arbeitete 20 Jahre lang als Parkwächter im Schlosspark der thüringischen Kreisstadt Arnstadt. Dort war er mit der Pflege und Bewachung der Grünanlage betraut. Im Rahmen dieser Tätigkeit geriet er immer wieder in Auseinandersetzungen mit rechtsextremen Jugendlichen, die im Park randalierten.

Dies geschah auch am 18. Januar: Karl Sidon bemerkte, dass eine Gruppe von Jugendlichen eine Parktoilette für Behinderte demolierte. Die Jugendlichen gehörten der Gruppe des sogenannten „Babyskins“ an. Er ermahnte sie, woraufhin die Neonazis begangen, massiv auf Karl Sidon einzuprügeln. Als er bewusstlos war, schliefen die Täter ihn auf die viel befahrene Bahnhofstraße. Dort wurde er von mehreren Autos überfahren und erlag noch am Abend seinen schweren Verletzungen. Karl Sidon hinterlässt eine Ehefrau und drei Kinder.

Rechtsextremer Mord „logische Folge der Ereignisse“ in Arnstadt

Der Mord an Karl Sidon fiel in eine Zeit, in der es in Arnstadt immer wieder zu Problemen mit rechtsextremen Jugendlichen kam. Ein Mitarbeiter eines örtlichen Jugendclubs bezeichnete den Mord an Karl Sidon als „logische Folge der Ereignisse“ vor Ort.

Im August 1993 verurteilte das Bezirksgericht Erfurt zwei der Jugendlichen zu Haftstrafen von drei Jahren und neun Monaten. Die beiden verurteilten Täter waren zum Tatzeitpunkt erst 15 und 16 Jahre alt. Der Mord an Karl Sidon wurde im Jahr 2006 von der Bundesregierung als rechter Mord anerkannt.

Das Bündnis gegen Rechtsextremismus Arnstadt setzt sich für ein würdiges Gedenken an Karl Sidon ein. Im Jahr 2016 veranstaltete es einen Mahngang zu allen Schauplätzen rechter Gewalt in Arnstadt – darunter auch der Tatort, an dem Karl Sidon ermordet wurde.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/karl-sidon-staatlich-anerkannt/

Mario Jödecke / 24.01.1993

Der 23-jährige Mario Jödecke wurde am 24. Januar 1993 bei einer Auseinandersetzung während einer Heavy-Metal-Party in Schlotheim (Thüringen) mit einem Messer erstochen.

Die Party war Teil einer Veranstaltungsreihe im Nebenraum einer Pizzeria. Dort regelmäßig verkehrende Gäste überzeugten den Besitzer, den Nebenraum für diese Heavy-Metal-Partys nutzen zu dürfen. Der Besitzer bestimmte aus den Reihen der Veranstalter:innen eine „Ordnungsgruppe“, die bei den Partys für Ordnung sorgen sollte. Bei der ersten Veranstaltung, an der ca. 100 Personen teilnahmen, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der „Ordnungsgruppe“ und einer Gruppe Punks. Der spätere Täter zog bei dieser Auseinandersetzung ein Messer, das er jedoch nicht benutzte.

Am 24. Januar, als Mario Jödecke ermordet wurde, fand erneut eine Heavy-Metal-Party in der Pizzeria statt. Eine kleine Gruppe Punks, zu der auch Mario Jödecke gehörte, wollte an der Veranstaltung teilnehmen. Bereits am Eingang drohte der spätere Täter, der Teil der „Ordnungsgruppe“ war, einem der Punks mit „Dich hau ich noch in die Fresse!“. Als dieser „wenn dir das was gibt“ erwiderte, reagiert der Täter mit einem Faustschlag. Als die „Ordnungsgruppe“ sich daraufhin sammelte, holten Mario Jödecke und einer seiner Freunde einen Baseballschläger und eine Schreckschusspistole aus einem Auto.

Der Täter stach Mario Jödecke direkt ins Herz

Als Mario Jödecke mit dem Baseballschläger bewaffnet auf den Angreifer zuging, zog dieser ein ca. 8cm langes Messer. Er hielt es wie eine Stoßwaffe und wartete, bis Mario Jödecke kurz vor ihm stand. Dann stach er mit dem Messer unvermittelt auf Brusthöhe zu. Er traf Mario Jödecke direkt ins Herz, der noch am Tatort starb.

Der Täter wurde später vor Gericht freigesprochen, da es sich um Notwehr gehandelt habe. Der Alkoholkonsum hätte die motorischen Fähigkeiten des Täters eingeschränkt. Dem Gericht zufolge lasse die Aufforderung des Täters zur Gewalt „keinen sicheren Schluss auf das Vorliegen der Absicht“ zu.

Die Opferberatungsstelle ezra ruft jährlich zum Gedenken an Mario Jödecke auf und fordert eine staatliche Anerkennung. Sie führt an zu dem Fall an: „Insbesondere in den 1990er Jahren werden Taten oftmals aufgrund nachlässiger Ermittlungen entpolitisiert. Fälle, bei denen rassistische oder sozialdarwinistische Motive zumindest eine tatbegleitende oder -eskalierende Rolle gespielt haben, können so kaum nachvollzogen werden“.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/mario-joedecke/

Sandro Beyer / 29.04.1993

Der 15-jährige Sandro Beyer wird von drei Mitschülern unter einem Vorwand in ein Waldstück gelockt. In einer Hütte, die den Eltern eines Täters gehört, wird er gefesselt und misshandelt. Nach mehreren Versuchen gelingt es den Tätern, Sandro Beyer durch Erdrosseln zu töten. Daraufhin nutzen diese ein nahegelegenes Erdloch, um die Leiche des Opfers zu vergraben. Erst einige Tage nach seinem Verschwinden führt der Hinweis eines Täters die Polizei zur Leiche des Sandro Beyer. Einer der Täter bezeichnet diesen später als „Volksschädling“ und bezieht sich immer wieder ohne Reue auf den Mord. Zwei Täter geben später an, dass sie in der Haftzeit, zur nationalsozialistischen Ideologie gefunden hätten. Rechte und menschenverachtende Ideologiefragmente lassen sich jedoch auch vor dieser Zeit feststellen. Bisher wird Sandro Beyer auf keiner Todesopfer-Liste zivilgesellschaftlicher Akteur:innen geführt, obwohl es für die rechte Tatmotivation starke Hinweise gibt. Ein Beschluss des Thüringer Landtags aus November 2018 will auch diesen Todesfall wissenschaftlich überprüfen lassen und klären, ob dieser offiziell als staatlich anerkanntes Todesopfer rechter Gewalt in Thüringen einzuordnen ist.

Quelle: ezra

Rolf Baginski / 04.09.1997

In einer Winternacht, am 28. November des Jahres 1991, wurde Mike Baginski beim Verlassen einer Diskothek im thüringischen Nordhausen durch eine Gruppe von drei Neonazis überfallen und brutal zusammengeschlagen. Als er bereits am Boden lag, traten die Rechtsextremen mehrfach mit Stahlkappenschuhen auf seinen Körper und primär seinen Kopf ein.

Rolf Baginski, Mike Baginskis Vater, eilte seinem am Boden liegenden Sohn zur Hilfe, auch auf ihn traten die drei Rechtsextremen ein. Später gestanden die Täter, die beiden Opfer immer und immer wieder in den Bauch und auf den Kopf getreten zu haben. Die drei Täter nahmen dem bereits bewusstlos getretenen Rolf Baginski die Jacke ab, seinem Sohn die Hose und die Schuhe.

Beide Opfer wurden lebensgefährlich verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, sind ab diesem Zeitpunkt, aufgrund bleibender Schäden, auf die Hilfe Dritter angewiesen.

Sozialdarwinistisches Motiv nicht gewürdigt

Im Oktober 1992 verurteilte das Landgericht Erfurt den Haupttäter, den damals 17-jährigen Rechtsextremen Michael See, mit dem selbst gewählten Spitznamen „Adolf“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren in einer Jugendhaftanstalt – u.a. wegen schwerer Körperverletzung. Die ursprüngliche Ermittlungs- und Anklagegrundlage der Staatsanwaltschaft wurde nicht weiterverfolgt: Sie hätte auf versuchten Totschlag gehießen. Obwohl der Haupttäter zu Protokoll gab, die Opfer hätten „wie Assis ausgesehen“ und hätten „einen ungepflegten Eindruck“ gemacht, wurde das sozialdarwinistisch-rechtsextreme Tatmotiv bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt. Medienberichten zufolge schrieb der Täter aus der U-Haft einen Brief, in dem er die Opfer verächtlich als „Slaven“ bezeichnet.

Rolf Baginski starb am 04. September 1997 an den Folgen der Hirnschwellung, die ihm die Täter 1991 durch wiederholte Tritte auf den Kopf zugefügt haben – dies geht aus dem Bericht des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag hervor.

Mike Baginski ist bis heute auf Betreuung angewiesen

Mike Baginski arbeitet heute in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Er ist bis zum heutigen Tage traumatisiert und auf die Betreuung durch Dritte angewiesen, leidet an einer psychischen Behinderung. Ein Vertrauter aus seinem Umfeld teilt uns mit, dass er in sich zurückgezogen sei, jedoch gelegentlich durch die Wahrnehmung sportlicher Angebote „aus sich herauskommt“. Doch was von allen Betreuer*innen und vertrauten Personen betont wird, ist, dass Mike Baginski die Chance auf ein normales Leben in der Nacht der Tat genommen wurde, dass  er den Angriff, seine Folgen und dem Tod seines Vaters nie verarbeitet hat.  Auch Mike Baginskis Mutter und Rolf Baginskis Frau hat sich nie von diesem Ereignis erholt: Nicht von dem Tag, an dem Rechtsextremisten ihren Mann und ihren Sohn fast zu Tode geprügelt hätten und auch nicht von dem Tag, an dem ihr Mann an den Folgen der schwersten Verletzungen verstorben ist.

Einige Tage vor der Tat vom 28. November 1991 war einer der drei Täter an der Gründung der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) beteiligt. Michael See, nach seiner Heirat Michael von Dolsperg, wurde in der Haft vom Verfassungsschutz als V-Mann rekrutiert und ist weiterhin einer der aktivsten Neonazis in der Thüringer rechtsextremen Szene. Er war später u.a. an der Gründung von Organisationen wie der der „Kameradschaft Leinfelde“ und der „Aktion Volkswille“ beteiligt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/rolf-baginski/

Jana G. / 26.03.1998

Die 14-jährige Jana G. wurde am 26. März 1998 im thüringischen Saalfeld ermordet. Das Tatmotiv war eine Mischung aus gekränkter Männlichkeit und rechtsextremen Hass auf politisch Andersdenkende.

Opfer und Täter kannten sich aus der Schule

Forsch, schlau, trotzig und voller Unternehmensgeist, so wird Jana von ihrem  Großvater beschrieben. Sie besuchte das Gymnasium in Saalfeld und wollte Reisen unternehmen, ihr Leben genießen. Doch sie wurde nur 14 Jahre alt.

Am Nachmittag des 26. März 1998 spazierte Jana G. mit einer Freundin durch das thüringische Saalfeld, als sie auf den 15-jährigen Täter traf. Dieser zückte unvermittelt ein Messer und stach zu. Jana G. starb noch am selben Tag an den Verletzungen.

Jana G. und der Täter kannten sich, sie besuchten dieselbe Grundschule, anschließend das Gymnasium. Der Täter musste das Gymnasium verlassen und ging fortan auf die Realschule. Jana G. fühlte sich der linken Szene zugehörig, der Täter bewegte sich in rechtsextremen Kreisen. Sechs Monate vor der Tat beschimpfte Jana G. den Angreifer als „scheiß Fascho“. Zwei Jahre zuvor habe der Täter Jana G. einen Liebesbrief geschrieben. In diesem Brief sahen weite Teile der medialen Öffentlichkeit damals das Tatmotiv – ein Eifersuchtsdrama unter Jugendlichen sei der Mord an Jana G. gewesen, keine rechtsextreme Tat.

Entpolitisierung durch das Landgericht Gera

Im Oktober 1998 wurde der Täter durch das Landgericht Gera wegen Totschlags zu fünfeinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Vor der Tat hatte der Täter das Opfer als “Zeckenschlampe” bezeichnet. Zudem habe Jana die “Linken auf ihn gehetzt” (Urteil Landgericht Gera vom 09.11.1998). Außerdem habe es ihn geärgert, dass sie sich nicht “unterwürfig und demütig” gezeigt habe, schlussendlich habe er “imponieren und seine Macht demonstrieren wollen” – all diese Aussagen hätten eine Einordnung als rechte, menschenverachtende Tat erforderlich gemacht. Das Gericht blieb jedoch bei der Erzählung eines Eifersuchtsdramas unter Jugendlichen.

Initiativen organisieren Gedenken

Am 26. März 2018, dem 20. Todestag von Jana G., rief das „Antifaschistische Jugendbündnis Saalfeld“ zum Gedenken auf.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/jana-g/

Axel Urbanietz / 24.05.2001

Am 24. Mai 2001 wird der 27-jährige Axel Urbanietz vor einem Freibad in Bad Blankenburg (Thüringen) von dem 24-jährigen Steffen D. mit Schlägen und Tritten so schwer verletzt, dass er wenig später an den massiven Brust- und Kopfverletzungen stirbt. Vor der tödlichen Attacke wurde das Opfer, das unter Epilepsie litt, von dem 24-jährigen Neonazi beleidigt. Beide Männer waren zur Tatzeit stark alkoholisiert. Der sofort herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den Tod von Axel Urbanietz feststellen. Vor dem Eintreffen der Polizei wurden die Augenzeugen der Tat von Steffen D. mit den Worten „Wenn du etwas erzählst, bist du als Nächster tot“ bedroht. Zur Tatzeit gilt Steffen D. als Wortführer der rechten Szene im Kreis Saalfeld-Rudolstadt und unterhält enge Kontakte zu Tino Brandt, dem Mitinitiator des „Thüringer Heimatschutzes“, der als V-Mann für den Verfassungsschutz arbeitete und Kontakte zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) pflegte. Steffen D. war bereits mehrfach vorbestraft, weil er unter anderem im August 2000 eine weiße Frau, die in Begleitung eines schwarzen Mannes war, rassistisch beschimpft, ihr ins Gesicht geschlagen und einen zu Hilfe eilenden Tankwart mit einer Waffe bedroht hatte (die tageszeitung, 30.05.2001: „Tod nach Neonazi-Tritten“). Am 29. November 2001 verurteilt das Landgericht Gera den Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchter Nötigung an Tatzeugen zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. Ein rechtsextremes Motiv erkennt sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch das Gericht nicht. Die vorsitzenden Richter gingen davon aus, dass es keine „Anhaltspunkte für einen rechtsextremistischen Tathintergrund“ gebe, vielmehr entwickelte sich aus der verbalen Auseinandersetzung ein physischer Angriff mit Todesfolge. Eine Kleine Anfrage von Ulla Jelpke (PDS) an die Bundesregierung im Jahr 2001 nach der rechtsextremen Motivation in diesem Fall, wird daher ebenfalls verneint: „Anhaltspunkte für einen rechtsextremistischen Tathintergrund sind nach Einschätzung der ermittelnden Behörden bislang nicht erkennbar.“

Film „Das blinde Auge – Ein Todesfall in Thüringen“ (2018 / 39 Min.) : https://youtu.be/oTdD6DL8kns

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/axel-urbanietz/

Hartmut Balzke / 25./27.01.2003

Der 48-jährige Hartmut Balzke begleitet am 25. Januar 2003 seinen Sohn zu einer Punk-Party in Erfurt (Thüringen). Dort versuchen sich zwei Neonazis Zugang zu der Party zu verschaffen. Weil sie abgewiesen werden, provozieren sie eine Schlägerei auf offener Straße. Einige Partygäste aus der Punk-Szene verfolgen daraufhin die beiden Rechten. Dabei kommt es zu einer Auseinandersetzung, an deren Ende Dirk Q. eine leichte Stichverletzung durch ein Messer erleidet. Es ist bis heute ungeklärt, wer Dirk Q. diese Stichverletzung zugefügt hat. Nach der Auseinandersetzung geht Dirk Q. in eine Kneipe, die als Treffpunkt für die rechte Szene bekannt ist. Als er diese später verlässt, sind Hartmut Balzke und ein Punk namens Sebastian Q. in unmittelbarer Nähe. Laut Zeugenaussagen wurde Hartmut Balzke von Dirk Q. mitten ins Gesicht geschlagen und sank daraufhin zu Boden. Der 48-jährige Familienvater erleidet durch den Aufprall eine Hirnschwellung, an der er zwei Tage später stirbt. Zudem bestätigen mehrere Zeugen, wie der gleiche Mann auch Sebastian Q. niederschlug und dann mit brutaler Gewalt mehrfach gegen den Oberkörper und Kopf des bewusstlos am Boden Liegenden trat. Sebastian Q. erleidet einen Gesichtstrümmerbruch. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt schnell gegen den 23-jährigen Rechten als Haupttäter, der wegen Körperverletzung und Zeigen des Hitlergrußes unter Bewährung steht. Trotz dieser Bewährung muss der Täter nicht in Untersuchungshaft. Das Landgericht Erfurt lehnt die Eröffnung der Hauptverhandlung 2006 mit der Begründung ab, dass es „sich um eine Schlägerei mit Todesfolge gehandelt“ habe. Fünf Jahre nach dem Angriff hebt das Oberlandesgericht Thüringen diese Entscheidung auf. Es kommt im März 2008 zu einer Hauptverhandlung, in der der damals 23-jährige Dirk Q. wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt wird. Der Prozess endet mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren für Dirk Q. Die Richter begründen die geringe Strafe damit, dass der Täter seitdem nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Sie bezeichneten den Tod von Balzke als einen „heilsamen Schock“ für den Angeklagten. Einen rechten Hintergrund will das Gericht nicht erkennen. Sebastian Q., der Punk der bei dem Angriff auch schwer verletzt wurde, trat als Nebenkläger auf. Das Gericht sieht hier lediglich eine leichte Körperverletzung als gegeben. Angesichts eines Gesichtstrümmerbruchs, den das Opfer erlitt, ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar. Die Mobile Opferberatung zeigte sich bestürzt über diese milde Strafe: „Das Urteil und das gesamte Strafverfahren sind Ausdruck einer tiefen Missachtung gegenüber Punks und sozial Randständigen. Offenbar sind sie in den Augen der Richter Opfer zweiter Klasse.“ Zudem war es ein Skandal, dass zwischen Tat und Verurteilung über fünf Jahre vergangen sind.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/hartmut-balzke/

Oleg Valger / 20./21.01.2004

Am 20. Januar 2004 wird der 27-jährige russische Spätaussiedler Oleg Valger in Gera (Thüringen) von vier rechten Jugendlichen getötet. Vor der tödlichen Attacke konsumierten Täter und Opfer gemeinsam Alkohol. Als ein Streit ausbricht, locken die 14- bis 19-Jährigen das Opfer, welches sie aus einer benachbarten Plattenbausiedlung kennen, in ein Wäldchen und verletzen es tödlich mit Tritten, Messerstichen und Hammerschlägen. Nach dem Tod Valgers sagt einer der Täter: „Wenigstens eine Russensau weniger.“ Das Landgericht Gera spricht von einer menschenverachtenden Gesinnung, die in der Tat zum Ausdruck komme. Trotz dieser Feststellung erkennt es aber dennoch keine fremdenfeindliche Motivation. Im Juli 2004 werden die Haupttäter wegen Mordes zu Jugendstrafen von neun und zehn Jahren verurteilt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/oleg-valger/

Klaus-Peter Kühn / 17.06.2012

Es ist der Abend des 16. Juni 2012 als zwei Brüder im Alter von 17 und 23 Jahren sowie einem 19-jährigen Bekannten in Suhl (Thüringen) im Plattenbauviertel Nord in die Wohnung des 59-jährigen Klaus-Peter Kühn eindringen. Die Gruppe von jungen Männern fordert Geld für Alkohol von Klaus-Peter Kühn. Er gibt ihnen zwei Euro. Als sie in dessen Wohnung jedoch weitere 25 Euro in einer Schrankwand finden, ist das der Beginn eines Martyriums für den 59-Jährigen. Immer wieder schlagen sie auf den Mann ein, zertrümmern einen Stuhl auf seinem Kopf, werfen eine Tischplatte auf das wehrlose Opfer und einer der Täter springt auf die Platte. Zudem werfen sie einen Fernseher auf ihn. Die Täter verlassen kurz die Wohnung, um sich an einer naheliegenden Tankstelle von dem erbeuteten Geld Alkohol zu kaufen. Sie kehren jedoch zurück und zeigen ihre Menschenverachtung für den „Penner“, wie ihn die Täter später gegenüber der Polizei bezeichnen, indem sie auf den Schwerverletzten urinieren und ihm glühende Zigarettenstummel in die Nasenlöcher stecken. Erst jetzt verlassen sie die Wohnung endgültig. „Die Obduktion ergibt, dass Klaus-Peter Kühn an den Folgen dieser schweren inneren wie äußeren Verletzungen am Vormittag, des 17. Juni 2012, stirbt.“ Er wird erst vier Tage später von einem Sozialarbeiter, der den 59-Jährigen betreut, gefunden.

Im Januar 2013 verurteilt das Landgericht Meiningen die Brüder Manuel und Christopher K. wegen Mordes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Erpressung. „Der Ältere erhält elf Jahre Haft, der Jüngere eine Jugendstrafe von neun Jahren.“ Wegen einer schweren Krebserkrankung des dritten Angeklagten, wurde sein Verfahren von dem der anderen abgetrennt. Die drei jungen Männer waren bereits einschlägig wegen Diebstählen und gefährlicher Körperverletzungen vorbestraft; der jüngste Täter auch wegen Hakenkreuzschmierereien. „Zudem war er mit einer Party am Geburtstag Adolf Hitlers aufgefallen.“ Die Vorsitzende Richterin betont in der Urteilsbegründung, die drei hätten „ihr Opfer nicht mehr als Mensch wahrgenommen“. In einem Gespräch im März mit Tagesspiegel und „Die Zeit“ bescheinigt die Richterin den Tätern eine „sozialdarwinistische Lebenseinstellung“.

Obwohl die Richterin den Tätern ein sozialdarwinistisches Motiv attestierte, wurde die schwere Erpressung als tatbestimmendes Moment im Urteilsspruch gewertet. Es bleibt abzuwarten, ob sich das ´Thüringer Innenministerium nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Selbstenttarnung des NSU dazu entscheiden wird, diesen Fall aufgrund der eindeutigen sozialdarwinistischen Motivation der Täter in die offizielle Statistik der „politisch motivierten Kriminalität-rechts“ aufzunehmen. Denn bei dem Prozess zeigten sich Beobachter wie Prozessteilnehmer entsetzt über das Auftreten der Angeklagten. Bei den Vernehmungen, so die als Zeugen geladenen Kriminalbeamten, hätten die Angeklagten das Opfer als „Penner“, „Kunde“ und „Spinner“ bezeichnet. Auf einem Vernehmungsvideo lächelt der 18-jährige Täter. Immer wieder kam es zu Zwischenrufen der Angeklagten wie: „Wollen Sie mich verarschen oder was?“. Von Reue keine Spur.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/klaus-peter-kuehn/

Mario K. / 12.02.2020

Der 52-jährige Mario K. wurde am Abend des 12. Februar 2020 von zwei jungen Männern in seiner Wohnung in der Thüringer Stadt Altenburg ermordet. Zuvor waren die beiden Täter und Mario K. bei einer Tankstelle in der Nähe des Hauses aufeinandergetroffen. Dort bot Mario K. den beiden Geld für sexuelle Handlungen an, was sie ablehnten und Mario K. verhöhnten. Am Hauseingang des Hauses, in dem sowohl Mario K. als auch einer der Täter wohnten, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Mario K. und einem der Täter. Die damals 18- und 23-jährigen Täter Sven N. und Tony S. drangen später am Abend in Mario K.s Wohnung ein und ermordeten ihn dort auf brutale Art und Weise mit Tritten, Schlägen und einem Messer.

Der tote Körper von Mario K. wurde am 23. Februar 2020, erst elf Tage nach seinem Tod, in seiner Wohnung aufgefunden.

Mario K. hatte seit zwei Jahren in dem Mehrparteienhaus in Altenburg-Südost gewohnt. Die Nachbar:innen des Wohnhauses, zu denen er nur wenig in Kontakt stand, beschrieben ihn als freundlich und berichteten, dass er gerne Gäste eingeladen habe. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung hatte Mario K. einen gerichtlich angeordneten Betreuer.

Rechtsextremes Gedankengut der Täter

Im Gerichtsverfahren gaben Sven N. und Tony S. an, sie hätten Mario K. einen „Denkzettel“ verpassen wollen, weil er ihnen vor der Tat Geld für sexuelle Handlungen angeboten hatte. Außerdem warfen sie Mario K. im Verfahren ohne jegliche Grundlage mehrfach Pädophilie vor und bezeichneten ihn mit abwertenden Begriffen, die in der rechtsextremen Szene häufig beleidigend für Homosexuelle verwendet werden. Mit dem Vorwurf der Pädophilie wird ein rechtsextremes und schwulenfeindliches Narrativ zur Legitimation des Mordes bedient. Mehrere Hinweise deuten darauf hin, dass die beiden vorbestraften Täter mit der rechtsextremen Szene sympathisieren. So wurde Sven N. im Gerichtsprozess von seinem Bruder als „rechtsradikal“ bezeichnet und auf seinem Handy eine Reichskriegsflagge gefunden. Außerdem traten Zeug:innen aus dem Bekannten- und Freundeskreis von Tony S. in Kleidung rechtsextremer Szenemarken auf. „Die Auswahl des Opfers, mehrere Hinweise auf eine rechte Einstellung der Täter und die Art der Tatbegehung sprechen ganz klar für ein rechtes Tatmotiv“, so die thüringische Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ezra.

Verurteilung zu Haftstrafen ohne Anerkennung des schwulenfeindlichen Tatmotivs

Die Staatsanwaltschaft Gera erkannte trotz der verschiedenen Hinweise und der Einstellungen der Täter kein rechtsextremes oder schwulenfeindliches Tatmotiv. Sie warf den beiden vor, „gemeinsam einen Menschen heimtückisch ermordet zu haben“ und sprach dabei von einer „ungeheuren Wucht“, mit der die Gewalt gegen Mario K. ausgeübt wurde. Im Mai 2021 wurde Sven N. zu einer Jugendhaft von acht Jahren und Tony S. zu sechs Jahren und vier Monaten Haft wegen „gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge“ verurteilt. Von Mord und dem rechtsextremen Tatmotiv war dabei keine Rede.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/mario-k/

Informationen Todesopfer durch den NSU

Enver Şimşek

9. September 2000, 38 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 38-jährige Enver Şimşek wurde am 09. September 2000 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Nürnberg ermordet.

Enver Şimşek war Blumenhändler. Am Tag seiner Ermordung fuhr er von Hessen nach Nürnberg, um einen seiner mobilen Blumenläden zu beliefern. Da sein Mitarbeiter verreist war, stellte er sich selbst hinter den Blumenstand. Gegen 15 Uhr rief ein Kunde die Polizei, weil der Blumenstand leer stand. Kurze Zeit später wurde Enver Şimşek von der Polizei schwer verletzt auf der Ladefläche seines Lieferwagens gefunden. Er wurde mit Verletzungen von insgesamt acht Schüssen aus zwei Pistolen ins Krankenhaus gebracht, wo er 11. September 2000 starb.

Selbstständig im Blumengroßhandel und Familienvater

Enver Şimşek ist in Salur aufgewachsen, einem Dorf nördlich der türkischen Stadt Antalya. In seiner Jugend half er den Schäfern vor Ort und verbrachte gerne Zeit in den Bergen. Auch nach seinem Umzug nach Deutschland fuhr Enver Şimşek noch gerne zu Besuch in sein Heimatdorf.

1978, noch in der Türkei, heiratete Enver Şimşek seine Frau Adile. Nach seinem Militärdienst kam Enver Şimşek im Jahr 1985, mit 24 Jahren, nach Deutschland. Ein Jahr später wurde seine Tochter Semiya geboren, ein weiteres Jahr später sein Sohn Abdulkerim. In Deutschland arbeitete Enver Şimşek zunächst für einen Automobilzulieferer, ab Mitte der 1990er Jahre machte er sich dann im Blumengroßhandel selbstständig – mit einem Ladengeschäft im hessischen Schlüchtern und mehreren mobilen Verkaufsständen.

Zweieinhalb Jahre vor seiner Ermordung machte Enver Şimşek gemeinsam mit seiner Frau eine Pilgerreise nach Mekka. Er hatte sich vorgenommen, sich stärker seiner Religion zuzuwenden, weniger zu arbeiten und mehr Zeit für seine Familie zu haben.

„Diese ganzen Vorurteile haben einfach die Polizei auf dem rechten Auge blind gemacht. Oder man wollte einfach bewusst blind bleiben.“

Die Polizei ermittelte nicht in Richtung eines rechtsextremen Mordes, sondern gegen die Familie von Enver Şimşek. Sie ging davon aus, dass Enver Şimşek ermordet wurde, weil er in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sei. Die Ermittlungsbehörden verhörten die trauernde Familie und stigmatisierte sie damit – „Können Sie erahnen, wie es sich für meine Mutter angefühlt hat, plötzlich selbst ins Visier der Ermittlungen genommen zu werden?“, fragt Semiya Şimşek. Mit deutlichen Worten kritisierte sie die Ermittlungsarbeit der Polizei: „Diese ganzen Vorurteile haben einfach die Polizei auf dem rechten Auge blind gemacht. Oder man wollte einfach bewusst blind bleiben.“

Auch nach dem Prozess bleiben viele Fragen offen

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

In Jena, der Stadt, in der das „NSU“-Kerntrio aufwuchs, und in Nürnberg wurden Plätze nach Enver Şimşek benannt. Zudem organisieren Initiativen und Angehörige regelmäßig Gedenkveranstaltungen.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/enver-simsek-staatlich-anerkannt/

Abdurrahim Özüdoğru

13. Juni 2001, 49 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 49-jährige Abdurrahim Özüdoğru wurde am 13. Juni 2001 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Nürnberg ermordet.

Abdurrahim Özüdoğru war Betreiber einer Änderungsschneiderei, in der er an seinem Todestag arbeitete. Wahrscheinlich gegen 16:30 Uhr kamen zwei Mitglieder des „NSU“ in das Geschäft – und ermordeten ihn sofort mit zwei Kopfschüssen. Nach dieser Hinrichtung fotografierten die Täter das Mordopfer. Gegen 21:30 Uhr fanden Passanten die Leiche von Abdurrahim Özüdoğru.

Ein „lebensfroher, fleißiger, offener Mensch“

Abdurrahim Özüdoğru wurde 1952 in der türkischen Stadt Yenişehir geboren. Wegen seinen sehr guten Leistungen in der Schule bekam er ein Stipendium für ein Studium in Deutschland – 1972 begann er in Erlangen Maschinenbau zu studieren. Im Studium fand er schnell viele Freund:innen. Dort lernte er auch seine zukünftige Frau kennen, die er 1980 heiratete. Wenig später bekamen sie eine Tochter.

Nachdem Abdurrahim Özüdoğru sein Studium beendet hatte, arbeitete er 25 Jahre als Metallfacharbeiter bei einer Firma in Nürnberg. Nebenbei baute er gemeinsam mit seiner Frau die Änderungsschneiderei in der Gyulaer Straße in Nürnberg auf. Als sich das Paar trennte, führte Abdurrahim Özüdoğru das Geschäft alleine weiter.

Seine Tochter erinnert sich, Abdurrahim Özüdoğru sei ein „lebensfroher, fleißiger, offener Mensch [gewesen]. Er hatte keine Feinde. Er hatte mit niemandem Streit“.

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Wie auch bei den anderen Morden des „NSU“ an Menschen mit einer Migrationsgeschichte, ermittelte die Polizei auch bei der Ermordung von Abdurrahim Özüdoğru im direkten Umfeld des Opfers – nicht in rechtsextremen Kreisen. Die Ermittlungsbehörden gingen dem Verdacht nach, Abdurrahim Özüdoğru wäre wegen Verbindungen in die organisierte Kriminalität und den Drogenhandel ermordet wurden. Die Polizei durchsuchte die Wohnung des Opfers ergebnislos mit Drogenspürhunden und machte abwertende Vermerke in den Ermittlungsakten. Selbst im „NSU“-Prozess viele Jahre später sprach ein als Zeuge geladener Ermittlungsbeamter noch in abwertender Weise über das Mordopfer.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. In diesem Video taucht auch das Foto der Leiche von Abdurrahim Özüdoğru auf.

Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

Heute erinnert eine Gedenktafel am Tatort an Abdurrahim Özüdoğru. Regelmäßig finden Gedenkveranstaltungen in Nürnberg und anderen Städten statt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/abdurrahim-oezuedogru-staatlich-anerkannt/

Süleyman Taşköprü

27. Juni 2001, 31 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 31-jährige Süleyman Taşköprü wurde am 27. Juni 2001 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Hamburg ermordet.

Süleyman Taşköprü arbeitete an diesem Tag im Gemüseladen seines Vaters in Hamburg-Bahrenfeld. Gegen 11 Uhr wurde er durch drei Schüsse ermordet – die Angreifer betraten den Laden, feuerten die Schüsse ab und flohen unmittelbar nach der Tat. Der Vater von Süleyman Taşköprü hatte seinen Sohn kurz alleine im Laden gelassen, um Oliven zu besorgen. Er fand ihn kurz nach der Tat blutüberströmt – der eintreffende Notarzt konnte Süleyman Taşköprü nicht mehr retten.

Er spielte Fußball, ging tanzen und traf sich gerne mit seinen Freund:innen

Süleyman Taşköprü wurde 1970 in Istanbul geboren. Sein Vater kam bereits 1972 nach Deutschland, um dort zu arbeiten – er gehörte zur ersten Generation der sogenannten „Gastarbeiter“. Mit elf Jahren kam auch Süleyman Taşköprü nach Deutschland. In Hamburg-Altona machte er seinen Realschulabschluss. Nach der Schule arbeitete er im Laden seines Vaters.

In seiner Freizeit spielte Süleyman Taşköprü gerne Fußball, ging tanzen oder traf sich mit Freund:innen. Als Teenager trainierte er außerdem drei Jahre lang Karate. Mit 28 Jahren bekam Süleyman Taşköprü eine kleine Tochter, die er sehr liebte. „Die kleine Aylin hat ihm sehr viel bedeutet“, erinnert sich seine Schwester.

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Nach dem Mord erklärte Süleyman Taşköprüs Vater der Polizei, dass er nach dem Mord zwei Männer aus dem Gemüseladen habe gehen sehen und dass die Täter Deutsche gewesen seien. Auf diese Hinweise gingen die Polizeibeamt:innen jedoch nicht ein – sie ermittelten nicht in Richtung eines rassistischen Motivs, sondern im Rotlicht- und Drogenmilieu. Wie auch bei den anderen Morden des „NSU“ an Menschen mit einer Migrationsgeschichte stigmatisierten die Ermittlungsbehörden damit das Opfer und seine Familie. Nachbar:innen und Freund:innen der Familie distanzierten sich wegen den Ermittlungen vorübergehend von ihr.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

Am Tatort erinnert heute ein Gedenkstein an Süleyman Taşköprü. Ein Teilstück der Bahrenfelder Kohlentwiete in Hamburg wurde inzwischen in „Tasköprüstraße“ umbenannt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/sueleyman-taskoeprue-staatlich-anerkannt/

Habil Kılıç

29. August 2001, 38 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 38-jährige Habil Kılıç wurde am 29. August 2001 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in München-Ramersdorf ermordet.

Habil Kılıç war Gemüsehändler, am Tag seiner Ermordung arbeitete er im Gemüseladen seiner Familie. Hinter der Ladentheke stehend wurde er durch zwei Kopfschüsse ermordet. Er starb noch am Tatort. Kund:innen fanden seine Leiche kurze Zeit nach dem Mordanschlag.

Habil Kılıç arbeitete hart, um seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen

Habil Kılıç wurde 1963 in der Stadt Borçka geboren, unmittelbar an der türkischen Schwarzmeerküste. Später lebte er in Ankara, wo er seine aus Deutschland kommende Frau kennenlernte. 1985 heirateten die beiden. Als sie Anfang der 1990er Jahre eine Tochter bekamen, zog Habil Kılıç zu seiner Frau nach München.

Habil Kılıç arbeitete hart, um seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Er hatte mehrere Jobs in Reinigungs- und Speditionsfirmen in München und Ingolstadt. Anfang der 2000er Jahre eröffnete Habil Kılıç gemeinsam mit seiner Frau einen Frischwarenladen mit Gemüse, Obst und türkischen Spezialitäten in der Bad Schachener Straße 14 in München – der Laden trug den Namen „Himmet Market“. Hauptberuflich arbeitete Habil Kılıç weiterhin in einer Großmarkthalle, nach Feierabend half er seiner Frau im Gemüseladen.

Für seine Familie war der Verlust von Habil Kılıç unvorstellbar tragisch. Seine Frau sagte nach seinem Tod: „Ich habe alles verloren: meinen Mann Habil, den Vater meiner Tochter, meine finanzielle Lebensgrundlage, meine Gesundheit.“

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Wie auch bei den anderen Morden des „NSU“ an Menschen mit einer Migrationsgeschichte, ermittelte die Polizei auch bei der Ermordung von Habil Kılıç im Umfeld des Opfers. Obwohl seine Familie bereits 2005 einen rechtsextremen Hintergrund vermutete, ermittelten die Behörden in Richtung organisierter Kriminalität und Drogenhandel. Damit stigmatisierten die Ermittlungsbehörden die Familie des Opfers und offenbarten vorurteilsgeleitetes Ermittlungsverhalten.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

Am Tatort erinnert seit 2013 eine Tafel mit den Namen aller „NSU“-Opfer an die rechtsextremen Morde. In jährlichen Gedenkveranstaltung wird Habil Kılıç gedacht.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/habil-kilic-staatlich-anerkannt/

Mehmet Turgut

25. Februar 2004, 25 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 25-jährige Mehmet Turgut wurde am 25. Februar 2004 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Rostock ermordet.

Mehmet Turgut zog erst kurz vor seinem Tod von Hamburg nach Rostock. Am Tag des Mordanschlags übernahm er spontan die Schicht seines Freundes in einem Imbisstand im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel. Zwischen 10:10 und 10:20 Uhr kamen Attentäter in den Imbiss und töteten Mehmet Turgut durch drei Schüsse in den Kopfbereich.

„Er wollte Geld sparen, um eine Familie zu gründen und meinen Eltern zu helfen“

Mehmet Turgut wurde 1977 in Kayalik in der Türkei geboren. Mit 15 Jahren zog er nach Deutschland, wo sein Vater bereits seit einigen Jahren arbeitete. In Deutschland beantragte Mehmet Turgut mehrfach Asyl, um ein dauerhaftes Bleiberecht zu erlangen. Er wurde zwischen 1994 und 2000 wiederholt abgeschoben.

„Für meinen Bruder Mehmet war Deutschland das Land der Hoffnung“, erinnert sich Mehmet Turguts Bruder. „Heute kann ich ihn verstehen. Er ist immer wieder nach Deutschland gegangen, um hier zu arbeiten. Er wollte Geld sparen, um eine Familie zu gründen und meinen Eltern zu helfen. Es war kein leichter Weg, er hat ihn mit dem Leben bezahlt“

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Wie auch bei den anderen Morden des „NSU“ an Menschen mit einer Migrationsgeschichte, ermittelte die Polizei auch bei der Ermordung Mehmet Turguts im Umfeld des Opfers – nicht in rechtsextremen Kreisen. Die Ermittlungsbehörden vermuteten, Mehmet Turgut hätte Verbindungen in kriminelle Milieus. Namensgebungen wie „Soko Halbmond“ zeigen die Ausrichtung der damaligen Ermittlungen.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

Heute erinnert ein Gedenkstein am Tatort an Mehmet Turgut. Jährlich finden Gedenkveranstaltungen in Rostock und anderen Städten statt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/mehmet-turgut-staatlich-anerkannt/

İsmail Yaşar

9. Juni 2005, 50 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 50-jährige İsmail Yaşar wurde am 09. Juni 2005 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Nürnberg ermordet.

İsmail Yaşar war Betreiber eines Imbisses. Am Tag seiner Ermordung arbeitete er in diesem Imbiss, der sich in der Scharrerstraße in Nürnberg befand. Die beiden Täter der rechtsextremen Terrorzelle fuhren am Morgen mit Fahrrädern in die Nähe des Imbisses und erschossen İsmail Yaşar mit fünf Schüssen in den Kopf und Oberkörper. Um kurz nach 10 Uhr wunderte sich ein Kunde, dass der Imbissstand unbesetzt war. Er beugte sich über den Tresen und fand den leblosen İsmail Yaşar auf dem Boden liegend. Es starb am Tatort.

„Mein Vater war ein sehr freundlicher, beliebter Mann“

İsmail Yaşar wurde 1955 in Alanyurt, einem kleinen Dorf in der Türkei geboren. Im Alter von 23 Jahren kam er nach Deutschland, wo er seine spätere Frau kennenlernte. Im Jahr 1988 heirateten die beiden, sie bekamen eine Tochter und einen Sohn. Die Familie lebte in Nürnberg, İsmail Yaşar arbeitete zunächst in einer Metallfirma und einem Kabelwerk in Nürnberg-Eibach. Später verkaufte er türkische Lebensmittel, betrieb eine Änderungsschneiderei und einen Second-Hand-Shop. Im Jahr 2000 eröffnete er schließlich seinen Dönerimbiss. Der Imbiss befand sich gegenüber der Schule seines Sohnes. İsmail Yaşar war sehr beliebt, nicht nur bei den Schüler:innen der Schule. Er saß abends oft noch lange mit Kund:innen oder Bekannten vor dem Imbiss, hatte immer ein offenes Ohr für alle.

Sein Sohn sagt über İsmail Yaşar: „Mein Vater war ein sehr freundlicher, beliebter Mann. Er hat keinen Alkohol getrunken. Er war ein sauberer Mann. Im Sommer zuvor waren wir noch gemeinsam in der Türkei, mein Vater, meine Mutter und ich. Wir hatten eine enge Verbindung mit seiner Familie dort. Dann war alles plötzlich ganz anders.“

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Nach der Tat sagten Zeug:innen bei der Polizei aus, sie hätten zwei Männer mit Fahrrädern an dem Imbiss beobachtet. Durch einen Vergleich der Projektile wusste die Polizei, dass es sich um dieselbe Waffe handelte, mit der auch die anderen Opfer des „NSU“ ermordet wurden. Wie auch bei den anderen Morden des „NSU“ an Menschen mit einer Migrationsgeschichte, ermittelte die Polizei jedoch auch bei der Ermordung von İsmail Yaşar im direkten Umfeld des Opfers – nicht in rechtsextremen Kreisen. Eine 40-köpfige Sonderkommission der Polizei ermittelte in Richtung einer mutmaßlichen Verbindung İsmail Yaşars sowie der anderen Opfer zu türkischen Drogenhändler:innen. Verdeckte Ermittler:innen betrieben sogar den Imbiss von İsmail Yaşar weiter, um Beweise für seinen Verbindungen in die Drogenkriminalität zu erlangen – natürlich ohne jeglichen Erfolg, İsmail Yaşar war ein unbescholtener Bürger. Damit stigmatisierten die Ermittlungsbehörden die Familie des Opfers und offenbarten vorurteilsgeleitetes Ermittlungsverhalten. Medial wurde nach dem Mord an İsmail Yaşar zunehmend der abwertende Begriff „Dönermorde“ für die Mordserie des „NSU“ verwendet.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

In Nürnberg findet jährlich eine Gedenkveranstaltung statt, um an İsmail Yaşar zu erinnern. Initiativen organisierten im Jahr 2021 zudem ein Straßenfest gegen Rassismus in Nürnberg, bei dem allen Opfern des „NSU“ gedacht wurde.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/ismail-yasar-staatlich-anerkannt/

Theodoros Boulgarides

15. Juni 2005, 41 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 41-jährige Theodoros Boulgarides wurde am 15. Juni 2005 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in München ermordet.

Theodoros Boulgarides war Inhaber eines Schlüsseldienstes in München-Westend. Er arbeitete am 15. Juni hinter der Ladentheke, als Mitglieder des „NSU“ das Geschäft betraten und ihn mit drei gezielten Kopfschüssen aus nächste Näheermordeten. Sein Geschäftspartner wunderte sich darüber, dass Theodoros Boulgarides nicht ans Telefon ging und suchte ihn. Er fand seine Leiche hinter der Ladentheke.

„Das waren doch alles anständige Menschen. Warum wurden sie nicht respektiert?“

Theodoros Boulgarides wurde 1964 in Triantafyllia in Griechenland geboren. Anfang der 1970er Jahre zogen er und sein zweijähriger Bruder nach Deutschland. Seine Eltern lebten und arbeiteten zu diesem Zeitpunkt bereits in München. In Deutschland machte Theodoros Boulgarides sein Abitur, anschließend ging er für kurze Zeit zurück nach Griechenland, um seinen Militärdienst abzuleisten. Wieder in Deutschland absolvierte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann – anschließend arbeitete er bei der Firma Siemens. Während dieses Jobs lernte Theodoros Boulgarides seine spätere Frau kennen, mit der er 1987 und 1990 zwei Töchter bekam. Nach seinem Job bei Siemens arbeitete er über zehn Jahre bei der Deutschen Bahn. Am 01. Juni 2005, zwei Wochen vor seiner Ermordung, eröffnete Theodoros Boulgarides gemeinsam mit einem Partner den Schlüsseldienst „Schlüsselwerk“.

Sein Bruder sagte über ihn: „Das waren doch alles anständige Menschen. Warum wurden sie nicht respektiert? Mein Bruder hatte eine deutsche Frau, zog seine Kinder deutsch groß, war Stammgast bei 1860 München. Er hat seine Steuern gezahlt, hat keinem etwas getan, im Gegenteil. Bevor er sich selbstständig gemacht hat, war er Fahrkartenkontrolleur, und er hat viele Leute nicht aufgeschrieben“

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Wie auch bei den anderen Morden des „NSU“ an Menschen mit einer Migrationsgeschichte, ermittelte die Polizei auch bei der Ermordung Theodoros Boulgarides im direkten Umfeld des Opfers – nicht in rechtsextremen Kreisen. Die Ermittlungsbehörden vermuteten, Theodoros Boulgarides hätte Verbindungen zur „Mafia“, zu Prostitutionsringen und ins Drogengeschäft. Damit stigmatisierten die Ermittlungsbehörden die Familie des Opfers und offenbarten vorurteilsgeleitetes Ermittlungsverhalten. Die Boulevard-Presse titelte nach dem Mord: „Türken-Mafia schlug wieder zu“.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

An der Hauswand des Tatorts erinnert heute eine Gedenktafel an Theodoros Boulgarides. Jährlich finden Gedenkveranstaltungen in München und anderen Städten statt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/theodorus-boulgarides-staatlich-anerkannt/

Mehmet Kubaşık

4. April 2006, 39 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 39-jährige Mehmet Kubaşık wurde am 04. April 2006 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Dortmund ermordet.

Mehmet Kubaşık war Betreiber eines Kiosks in der Dortmunder Nordstadt. Zwischen 12 und 13 Uhr suchten die Täter:innen den Kiosk auf und schossen viermal auf Mehmet Kubaşık – zwei der Schüsse trafen ihn. Er wurde wenig später von einer Kundin tot hinter der Ladentheke gefunden.

„Deutschland fühlte sich als Heimat an“

Mehmet Kubaşık wurde 1966 in Pazarcık im Süden der Türkei geboren. Dort besuchte er die Grund- und Mittelschule und arbeitete anschließend in der Landwirtschaft. 1980 heiratet er, gegen den Willen seine Familie, seine Jugendliebe Elif. Sie bekamen eine Tochter. Die Familie gehörte der Minderheit der Aleviten an, die in der Türkei verflogt wurde. Wegen der zunehmend bedrohlichen Situation zog Mehmet Kubaşık mit seiner Familie 1991 nach Deutschland. Bis zur Anerkennung des Asylantrags im Jahr 1993 lebte die Familie in einer Unterkunft für Geflüchtete – dann konnten sie eine gemeinsame Wohnung in Dortmund beziehen. Mitte der 1990er Jahre bekamen Mehmet und Elif Kubaşık einen Sohn, im Jahr 2000 einen zweiten. Um seine Familie zu ernähren, arbeitete Mehmet Kubaşık als Hilfs- und Bauarbeiter in einem Obsthandel, bei einer Dachdeckerfirma, in einem Imbiss und bei einem Paketservice. Im Jahr 2004 – ein Jahr, nachdem er die deutsche Staatsbürgerschaft bekam – eröffnete Mehmet Kubaşık seinen Kiosk in der Mallinckrodtstraße in Dortmund.

Die Familie Kubaşık pflegte gute Kontakte zu ihren Nachbar:innen und hatte ein großes soziales Umfeld. Elif Kubaşık erinnert sich an das gemeinsame Leben mit ihrem Mann: „Wir hatten viel Kontakt zu den Leuten hier, zu den Deutschen wie zu den Nichtdeutschen. Es war eine gute Nachbarschaft. Das Leben war eine große Freude. Schon 2003 hatten wir die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Das war eine bewusste Entscheidung von meinem Mann und mir. Deutschland fühlte sich als Heimat an.“

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Wie auch bei den anderen Morden des „NSU“ an Menschen mit einer Migrationsgeschichte, ermittelte die Polizei auch bei der Ermordung von Mehmet Kubaşık im direkten Umfeld des Opfers – nicht in rechtsextremen Kreisen. Bereits einen Tag nach dem Mordanschlag befragten die Ermittler:innen die Angehörigen von Mehmet Kubaşık. Sie gingen fälschlicherweise davon aus, Mehmet Kubaşık hätte Verbindungen in die organisierte Kriminalität und in den Drogenhandel. Die Witwe Elif Kubaşık und die Kinder der Familie wurden getrennt voneinander zu den Verwicklungen des Familienvaters in die Kriminalität befragt und sogar selbst der Tat verdächtigt. Damit stigmatisierten die Ermittlungsbehörden die Familie des Opfers und offenbarten vorurteilsgeleitetes Ermittlungsverhalten.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

Am Tatort erinnert heute ein Gedenkstein an Mehmet Kubaşık. Jährlich findet in Dortmund ein Schweigemarch statt. Im Jahr 2019 wurde außerdem ein Platz in der Dortmunder Nordstadt in Mehmet-Kubaşık-Platz umbenannt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/mehmet-kubasik-staatlich-anerkannt/

Halit Yozgat

6. April 2006, 21 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 21-jährige Halit Yozgat wurde am 06. April 2006 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Kassel ermordet.

Halit Yozgat arbeitete an jenem Tag in dem Internetcafé, das er gemeinsam mit seinem Vater betrieb. Mitglieder der Terrorzelle betraten das Café und ermordeten Halit Yozgat mit zwei gezielten Kopfschüssen. Er wurde kurze Zeit später von seinem Vater gefunden und starb in dessen Armen.

Halit Yozgat war technisch versiert und ein geliebtes Familienmitglied

Halit Yozgat wurde 1985 als viertes Kind der Familie in Kassel geboren und nach seinem Großvater benannt. Er war ein begabter Schüler – sein Lieblingsfach war Mathematik. In seiner Freizeit traf er sich gerne mit Freund:innen, spielte Fußball oder ging in die Moschee. Als Halit Yozgat 12 Jahre alt war, kauften seine Eltern ihm für das Schulrechnen seinen ersten Computer. Er baute ihn komplett auseinander und wieder zusammen – spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde seine besondere Begabung im technischen Bereich ersichtlich.

Nach der zehnten Klasse ging er von der Schule, um anzufangen zu arbeiten. Im Jahr 2004, mit gerade einmal 19 Jahren, eröffnete er mit seinem Vater das Internetcafé in der Holländischen Straße 82 in Kassel. Dort arbeitete er tagsüber und ging anschließend zur Abendschule, um sein Abitur zu machen. Im Anschluss wollte er Informatik studieren.

Seine Familie sagt über Halit Yozgat, er sei sehr „liebevoll gewesen“ und „man konnte sich zu zweihundert Prozent auf ihn verlassen“.

Ermittlungsbehörden versagen bei der Aufklärung der „NSU“-Morde

Die Polizei ermittelte nicht in Richtung eines rechtsextremen Mordes, sondern im persönlichen Umfeld von Halit Yozgat. Sie ging davon aus, dass Halit Yozgat ermordet wurde, weil er in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sei und äußerte den Verdacht, das Opfer hätte Rauchgiftkriminalität betrieben. Damit stigmatisierten die Ermittlungsbehörden die Familie des Opfers und offenbarten vorurteilsgeleitetes Ermittlungsverhalten.

Im Nachhinein stellte sich sogar heraus, dass Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, das Internetcafé wenige Sekunden nach den Schüssen verließ. Er stellte sich anschließend nicht als Zeuge zur Verfügung, beteuerte, dass er nichts von den Schüssen mitbekommen hätte und widersprach sich mehrfach in seinen Aussagen. Die Akte von Andres Temme wurde vom hessischen Verfassungsschutz zunächst für die ungewöhnlich lange Sperrfrist von 120 unterlegt und somit unter Verschluss gehalten. Nach einer internen Änderung wurde diese „Geheimhaltungsfrist“ auf 30 Jahre reduziert.

Halit Yozgats Familie äußerte sich zum Gang der Ermittlungen: „Wir zweifeln am Rechtsstaat, aber wir wünschen uns dennoch Gerechtigkeit. Wir waren immer anständig, haben immer gearbeitet – alles in dem Glauben, hier in Deutschland sei alles fair, gerecht, strukturiert“.

Auch nach dem Prozess bleiben viele Fragen offen

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

2012 wurde ein Platz unweit des Internetcafés nach Halit Yozgat benannt. Zuvor wurde der Vorschlag einer Umbenennung einer Straße von der Stadt abgelehnt. Auf dem Halitplatz befindet sich auch ein Gedenkstein – jährlich werden hier Gedenkveranstaltungen abgehalten.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/halit-yozgat-staatlich-anerkannt/

Michèle Kiesewetter

25. April 2007, 22 Jahre (staatlich anerkannt)

Die 22-jährige Michèle Kiesewetter wurde am 25. April 2007 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Heilbronn ermordet.

Michèle Kiesewetter arbeitete als Polizisten, zum Zeitpunkt der Tat befand sie sich im Dienst. Sie und ihr Kollege stellten ihren Dienstwagen gegen 14:00 Uhr am Rand der Heilbronner Theresienwiese ab, um eine Pause mit geöffneten Autotüren zu machen. Wenig später entdeckte ein Passant, dass beide Polizist:innen blutüberströmt auf den Sitzen des Polizeiwagens lagen. Nach Rekonstruktion der Ermittler:innen müssen sich mindestens zwei Täter:innen von hinten an den Wagen geschlichen, mit Schusswaffen auf die beiden Opfer geschossen und ihre Dienstwaffen entwendet haben. Michèle Kiesewetters Kollege überlebte schwer verletzt. Sie selbst starb unmittelbar nach der Tat.

Schon mit elf Jahren wollte sie Polizistin werden

Michèle Kiesewetter wurde am 10. Oktober 1984 in der thüringischen Kleinstadt Neuhaus geboren. Aufgewachsen ist sie bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in Oberweißbach. Schon im Alter von elf Jahren hatte sie den Wunsch, später einmal Polizistin zu werden. In ihrer Jugend machte sie viel Sport, nahm unter anderem an Biathlon-Wettbewerben teil. Im Jahr 2002 bewarb sich Michèle Kiesewetter bei der Polizei Baden-Württemberg, bestand den Eignungstest und erfüllte sich damit ihren Traum – 2003 begann sie ihre Ausbildung bei der Polizei Biberbach. Mit ihrem Heimatort blieb sie auch nach dem Umzug sehr verbunden, regelmäßig besuchte sie ihre Familie und Freund:innen.

Am Tag ihrer Ermordung hätte Michèle Kiesewetter eigentlich keinen Dienst gehabt. Sie übernahm jedoch die Schicht eines Kollegen. Ihre Familie erinnert sich an ihre Träume und Lebensziele: „Wir denken oft daran, dass Michèle ausgerechnet für ihren Traum, Polizistin zu sein, ihr Leben verloren hat. Sie war noch so jung, hatte noch so viele Pläne. Sie wollte eine Familie gründen und Kinder haben, drei, vier. (…) Sie träumte vom Motorradführerschein, und im Winter 2007 wollte sie Skifahren lernen. Wenige Monate davor wurde sie ermordet.“

Dienstwaffen wurden nach Selbstenttarnung bei den Tätern gefunden

Nach der Tat löste die Polizei sofort eine Großfahndung im Raum Heilbronn aus und kontrollierte alle Fahrzeuge im Umkreis – ohne Erfolg. Die Täter:innen wurden von der Polizei nicht aufgespürt, in der Neonazi-Szene wurde nie ermittelt.

Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden – mit ihnen auch die Dienstwaffen von Michèle Kiesewetter und ihrem Kollegen. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.

Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.

Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.

Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach

Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.

Heute erinnert ein Gedenkstein auf der Theresienwiese an Michèle Kiesewetter. Jährlich finden dort Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen statt.

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/michele-kiesewetter-staatlich-anerkannt/

Sie beobachten einen rechten Angriff oder sind selbst betroffen?

  • Sie erleben einen rechten, rassistischen Angriff, was tun?
    • Sprechen Sie die betroffene Person direkt an: „Brauchst Du Unterstützung? Ich bin / bleibe hier.“
    • Verurteilen Sie die Tat der angreifenden Person, „Siezen“ sie diese. Solidarisieren Sie sich lautstark mit der betroffenen Person. Machen Sie Umstehende aufmerksam und fordern Sie diese direkt zur Unterstützung auf.
    • Bringen Sie sich nicht selbst in Gefahr, achten Sie auf Ihre Grenzen!
    • Suchen Sie die Nähe des Fahrers / der Fahrerin. Polizei in Absprache mit der betroffenen Person verständigen. Stellen Sie sich als Zeug:in zur Verfügung.
    • Videos aus Überwachungskameras werden i.d.R. nur 24h gespeichert.
    • Informieren Sie über das Beratungsangebot von ezra.
  • Im Nachgang:
    • Fertigen Sie ein Gedächtnisprotokoll an. Wenn Sie betroffen sind, dokumentieren Sie Schäden und Verletzungen. Gehen Sie zu einem Arzt/ einer Ärztin und bestehen auf ein Attest.
    • Bitten Sie Familie und Freund:innen um Unterstützung. Bleiben Sie nicht allein!
    • Niemand muss allein zur Polizei, Sie haben das Recht auf Dolmetschung!
    • Kontaktieren Sie ezra: Beratung in allen Fragen, Polizeibegleitung, Dokumentation des Angriffs etc. Wir stehen an Ihrer Seite!

Weiterführende Informationen finden sie in der Broschüre: „Was tun bei rechten, rassistischen und antisemitschen Angriffen?

Have you witnessed a right-wing, racist attack, what to do?

  • Address the person involved (victim) directly: „Do you need support? I am/will stay here.“
  • Condemn the act of the attacking person, Loudly express your solidarity with the person involved. Draw the attention of passersby and ask them directly for support.
  • Don’t put yourself in danger, be aware of your limits!
  • Stay close to the driver. Notify the police after consulting with the person concerned. Make yourself available as a witness.
  • Videos from surveillance cameras are usually only stored for 24 hours.
  • Provide information about Ezra’s consulting services.
  • Afterwards:
    • Make a memory log. If you are affected, document the damage and injuries.
    • Go to the doctor and require a medical report.
    • Ask family and friends for support. Don’t stay alone!
    • Nobody has to go to the police alone, you have the right to an interpreter!
    • Contact ezra to get: Assistance with all questions, accompaniment to the police,
    • documentation of the attack, etc. We’re by your side!

More information here.

Projektpartner

Das Projekt entstand durch die Initiative der Partnerschaft für Demokratie Jena in Kooperation mit:

Mit freundlicher Unterstützung der SD Verkehrsmedien Thüringen GmbH.

Presse & Bilder

Pressemitteilung

Seit 1990 sind in der Bundesrepublik über 200 Menschen Todesopfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt geworden. In einem gemeinsamen Projekt sollen die Namen der Opfer in die Jenaer Öffentlichkeit gebracht werden, um ihrer zu erinnern. Die Menge der Namen verdeutlicht dabei die gewaltvollen und tödlichen Konsequenzen von menschenverachtenden Einstellungen und Handlungen. Das Projekt soll daher auch zur Auseinandersetzung mit rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt anregen.

„Rechte Gewalt tötet, verletzt und grenzt aus. In Jena ist vor allem Rassismus ein großes Problem. Es geht um die alltägliche Konfrontation und die Botschaft der Täter: ‚Ihr gehört nicht dazu.‘ Wir beobachten diese Kontinuität jüngst bei den rassistischen, muslimfeindlichen Posteinwürfen in Lobeda und Winzerla, aber auch bei den Versammlungen der sogenannten Coronaleugner:innen, bei denen es auch zu Angriffen gegen die protestierende Zivilgesellschaft kommt. Dagegen hilft: Hinsehen, Intervenieren, Solidarität zeigen. Niemand darf mit rechter, rassistischer, antisemitischer Gewalt allein bleiben. Sie geht uns alle an“, erklärt Franziska Schestak-Haase von ezra, der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen.

Rea Mauersberger, Vorsitzende des Migrations- und Integrationsbeirates Jena: „Rassismus ist eine alltägliche Erfahrung von vielen BIPoC. Wir begegnen Rassismus überall, auf der Straße, in Behörden, in den Schulen, auf der Arbeit, im Freundeskreis. Nur wenn wir anerkennen, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist, können wir ihn effektiv bekämpfen. Dazu brauchen wir eine breite gesellschaftliche, kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, sowie die Bereitschaft den eigenen Rassismus zu begreifen und zu bekämpfen.

„Elf Jahre nach dem breiten öffentlichen Bekanntwerden des NSU, dessen Kernmitglieder aus Jena stammten und von hieraus in den Untergrund gingen, um 10 Menschen zu ermorden und zahlreiche weitere zu verletzen, wollen wir mit dem Projekt verdeutlichen, dass extrem rechte Gewalttaten weder mit dem NSU begannen noch endeten. Dies wird auch durch den anstehenden zweiten Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau vom 19.02.2020 deutlich“, ergänzt Alexander Krampe von der Partnerschaft für Demokratie Jena.

Couragiertes Handeln und öffentliches Eintreten für Miteinander und Vielfalt schützt die Betroffenen nicht nur im Ernstfall. Es verdeutlicht auch zentrale Prinzipien einer demokratisch verfassten Gesellschaft, für die sich die Projektbeteiligten gemeinsam einsetzen.

Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche: „Rassismus und Ausgrenzung haben in Jena keinen Platz und es wird unsere fortwährende Aufgabe sein, dieses klare Bekenntnis mit Hilfe eines breiten Netzwerkes immer wieder in der Stadt sichtbar zu machen, zu informieren, aufzuklären und zu gedenken. Hierzu gehört der Enver-Şimşek-Platz genauso wie die nach ihm umbenannte Straßenbahn- und Bushaltestelle. Und auch die aktuelle Buskampagne zu #saytheirnames wird einen wichtigen Beitrag zum Gedenken an die Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt leisten.“

Der thematisch gestaltete Bus wird für ein Jahr auf wechselnden Buslinien im Stadtbild von Jena verkehren. Im Innenraum des Busses machen Plakate auf das Anliegen des Projektes aufmerksam und geben Handlungsempfehlungen im Umgang mit rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen.

Das Projekt entstand auf Initiative der Lokalen Partnerschaft für Demokratie Jena in Kooperation mit KoKont, der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen ezra, Iberoamérica e.V., dem Migrations- und Integrationsbeirat Jena, MigraNetz Thüringen e.V., Ansole e.V., dem Fachdienst für Migration und Integration Jena, der Jungen Gemeinde Stadtmitte, der Antidiskriminierungsstelle der Stadt Jena und mit Unterstützung des Oberbürgermeisters Dr. Thomas Nitzsche.

Die Partnerschaften für Demokratie unterstützen die zielgerichtete Zusammenarbeit aller vor Ort relevanten Akteurinnen und Akteure für Aktivitäten gegen Rechtsextremismus, Gewalt und die unterschiedlichen Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie für die Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens unter aktiver Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und tragen zur nachhaltigen Entwicklung lokaler und regionaler Bündnisse in diesen Themenfeldern bei.

Die Lokale Partnerschaft für Demokratie Jena (PfD Jena) in Trägerschaft der Stadt Jena wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen von “Demokratie leben!” und dem Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“ des Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport.